„Der Türkei-Deal löst nicht alle Probleme“

11.04.2016
Interview

Der Türkei-Deal löst nicht alle Probleme. Wir dürfen vor allem Libyen nicht aus den Augen verlieren. Wenn im Sommer die Überfahrt leichter möglich ist, wird diese Route über das Mittelmeer wieder verstärkt genutzt werden. Leider ist es derzeit kaum möglich, ein Abkommen zu schließen, weil es in Libyen keine handlungsfähige Regierung gibt und die Terrormiliz IS große Teile der Küste unter ihrer Kontrolle hat.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen fordert weitere Anstrengungen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Was der Ex-Minister über die EU-Krise und die „Panama Papers“ sagt.

Die Panama Papers haben viele ausländische Politiker in Bedrängnis gebracht. Erwarten Sie, dass auch Namen deutscher Politiker bekannt werden, die Geld in Offshore-Geschäfte investiert haben?

Norbert Röttgen: Das weiß ich nicht. Aber ich kann nur sagen: Wenn es einen erwischt, dann ist er selber schuld. So etwas macht man nicht, nicht nur als Politiker.

Der britische Premier Cameron musste zugeben, dass er an einer Briefkastenfirma in Panama beteiligt war. Schwächt ihn das im Hinblick auf die Volksabstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der EU?

Röttgen: Ich denke, es wird ihm anhängen, aber nicht ernstlich in Bedrängnis bringen. Meine Einschätzung ist, dass die Briten die Frage des Brexits danach entscheiden werden, wo sie die größeren Risiken sehen. Und das ist zweifellos der Austritt aus der EU. Sollte es dazu kommen, dann gäbe es nur Verlierer: die EU, vor allem aber Großbritannien. Die Schotten würden dann ein neues Referendum fordern und im Erfolgsfall die Aufnahme in die EU beantragen. Dann würde aus Groß- ein Kleinbritannien.

Sehen Sie im „Nee“ der Niederländer beim Referendum zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ein weiteres Anzeichen für einen drohenden Zerfall der EU?

Röttgen: Nein, damit wäre das Abstimmungsergebnis überinterpretiert. Ich glaube vielmehr, dass die Pro-Europäer in den Niederlanden nicht genug gekämpft haben, um das Nein zu verhindern. Europa hat nur eine Chance, wenn man sich aktiv dafür einsetzt.

Was kann Europa jetzt tun, um die Ukraine doch noch wirtschaftlich zu stabilisieren?

Röttgen: Das ist eine mehr technische Angelegenheit. In dem Abkommen gibt es Teile, die in die Kompetenz der EU fallen und nicht der Zustimmung durch die Mitgliedstaaten bedürfen. Diese könnten in Kraft gesetzt werden. Darüber muss man jetzt in aller Ruhe auch mit der niederländischen Regierung reden. Auf jeden Fall dürfen wir die Ukraine nicht fallen lassen. Es geht nicht nur um dieses wichtige europäische Land, sondern es geht auch darum, ob Europa in Zukunft geteilt sein wird in einen Bereich, der von der EU geprägt ist, und in einen Bereich, den Russland und sein Präsident Putin dominieren.

Sehen Sie in einer kleineren und dafür handlungsfähigeren Kern-EU eine Perspektive für die Zukunft?

Röttgen: Die EU der jetzt 28 Staaten wird sich nicht auflösen. Aber es wird künftig noch mehr als heute Gruppen von Staaten geben, die in Sachfragen enger zusammenarbeiten – so wie es bisher bereits Euro-Staaten und Nicht-Euro-Staaten gibt. Zum Beispiel können einige Staaten künftig in der Flüchtlingspolitik eng zusammenarbeiten, während andere nicht mitmachen.

In der Flüchtlingspolitik ist das Versagen der EU besonders augenfällig. Der Zustrom von Menschen, die mithilfe von Schleusern illegal einreisen, ist erst zurückgegangen, seit die Westbalkanstaaten die Fluchtroute geschlossen haben. Müssen wir dem Nicht-EU-Staat Mazedonien dafür dankbar sein?

Röttgen: Der Zusammenhang zwischen der Schließung der Balkanroute und dem Rückgang der Flüchtlingszahlen ist offenkundig. Das kann aber keine nachhaltige Lösung des Problems sein. Diese muss von der EU gefunden werden.

Was sagen Sie zu dem Gerücht, die Schließung der Balkanroute sei mit Berlin abgestimmt gewesen?

Röttgen: Ich halte es für ein Gerücht.

Was versprechen Sie sich vom EU-Türkei-Deal? Bisher sind erst wenige illegal eingereiste Flüchtlinge in die Türkei zurückgebracht worden …

Röttgen: Der Pakt mit der Türkei steht erst am Beginn der Umsetzung. Bisher sind weder in der Türkei noch auf der Seite Griechenland/EU alle Voraussetzungen erfüllt, um das Verfahren rechtlich einwandfrei abzuwickeln.

Machen wir uns damit nicht abhängig von der Türkei?

Röttgen: Das dürfen wir nicht zulassen. Aber es stimmt, in dem Maße, in dem Europa seine Probleme nicht selber löst, erzeugen wir auch Abhängigkeiten.

Und was ist mit möglichen anderen Flüchtlingsrouten?

Röttgen: Der Türkei-Deal löst nicht alle Probleme. Wir dürfen vor allem Libyen nicht aus den Augen verlieren. Wenn im Sommer die Überfahrt leichter möglich ist, wird diese Route über das Mittelmeer wieder verstärkt genutzt werden. Leider ist es derzeit kaum möglich, ein Abkommen zu schließen, weil es in Libyen keine handlungsfähige Regierung gibt und die Terrormiliz IS große Teile der Küste unter ihrer Kontrolle hat.

Röttgen: Deutschland wird den größten Teil der syrischen Flüchtlinge aufnehmen

Halten Sie es für denkbar, dass die Bundesregierung jene Flüchtlinge, die im nordgriechischen Idomeni hängengeblieben sind, nach Deutschland einladen wird – wie im vergangenen Jahr die in Budapest gestrandeten?

Röttgen: Nein, das wird es kein zweites Mal geben.

Der EU-Türkei-Deal sieht auch vor, dass Syrer legal in die EU einreisen können. Wer außer Deutschland wird sie aufnehmen?

Röttgen: Das werden mehrere Länder sein. In den Niederlanden und in Finnland sind bereits syrische Immigranten aus der Türkei eingetroffen. Aber Deutschland wird zweifellos den größten Teil aufnehmen.

Interview: Winfried Züfle