Würde die von Ihnen geführte CDU anregen, Fidesz aus der EVP auszuschließen?
Diese Frage muss nach dem Ende der Pandemie beantwortet werden. Sollte die ungarische Regierung von der weitreichenden Ermächtigung, die das neue Gesetz bietet, missbräuchlich nutzen, hätte Fidesz keinen Platz mehr in der EVP.
Hat auch Ungarn dann keinen Platz in der EU?
Es wäre wichtig, schon jetzt ein Verfahren innerhalb der EU anzustoßen, da das neue Gesetz Tor und Tür öffnet für Machtmissbrauch, was an sich schon die demokratischen und rechtsstaatlichen Richtlinien der EU verletzt. Man muss nicht nur über die Mitgliedschaft der Partei in der EVP, sondern auch über die Mitgliedschaft Ungarns in der EU reden. Aber: Beides muss unterschiedlich und getrennt voneinander beurteilt werden. In der Partei sind alle mit der derzeitigen Politik einverstanden, was man von der ungarischen Gesellschaft nicht sagen kann.
Was stört Sie am meisten am Gesetz?
Dass hier eine Notsituation missbraucht wird, um Möglichkeiten zu schaffen, die für die Pandemiebekämpfung nicht nötig wären. Natürlich dürfen Regierungen um spezielle rechtliche Rahmen zu bitten, aber nur unter strengen Auflagen, zeitlich begrenzt, und die Gewaltenteilung beachtend. Die strafrechtlichen Paragraphen halte ich für völlig unbegründet.
Sie erkennen darin die Kriminalisierung des journalistischen Berufes?
Die Möglichkeit dazu wird geschaffen. Der Paragraph ist so ungenau, vage und weitreichend, dass es mit rechtsstaatlichen Strafrecht nichts mehr gemein hat.
Orbán nutzte die Migrationskrise, um den Rechtsstaat zurückzubauen. Und er erhielt Absolution für den größten Teil.
Ich sehe die Gefahr des Gewöhnungseffekts für solche Maßnahmen innerhalb der EU. Wenn wir nicht entschieden gegen Normenverstöße vorgehen, dann riskieren wir, dass unsere Begriffe von Werten und Prinzipien ungenauer werden. Die Europäische Kommission und auch der Rat müssen daher jetzt schon mit dem ungarischen Ermächtigungsgesetz auseinandersetzen. Es sollte kein Missverständnis darüber herrschen, was wir unter Demokratie und Rechtsstaat verstehen.
Fürchten Sie nicht, dass Spanien, Italien oder Frankreich den gleichen Weg gehen könnten?
Nein, in den drei Ländern sehe ich nicht einmal ein Funken dessen. Allerdings sehen wir in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ebenfalls ähnliche Tendenzen wie in Ungarn: In Polen nutzt die PiS-Regierung die Krise, um den Machterhalt zu sichern, indem sie an der Präsidentschaftswahl im Mai – trotz weitreichender Maßnahmen und Ausgangseinschränkungen – festhalten will. Eine faire und freie Wahl ist unter diesen Umständen nicht möglich. Den Entwicklungen in Polen wird zu wenig Beachtung geschenkt, meine ich.
Wird sich die EU nach der Pandemie darüber streiten, wie viel Demokratie es braucht?
Da gibt es keinen Grund für Streit. Aus historischen Erfahrungen sind die Grundverträge eindeutig: Die EU ist ein Club liberaler Demokratien. Da gibt es keinen Raum für Kompromisse. Die viel größere Herausforderung für die EU ist die Frage nach der Solidarität, wie wir also die Spannungen bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen zwischen Norden und Süden lösen können. Es ist existentiell, dass die EU darauf die richtige Antwort findet.
Und das Geld kann man von den Förderungen der neuen Mitgliedsstaaten umstrukturieren?
Das ist der falsche Ansatz. Europa ist eine Gemeinschaft und solidarisch mit allen Mitgliedern. Ich bin auch gegen Sanktionierung durch Geldkürzungen. Die Werte sind Grundstein des Dazugehörens. Die Bindung finanzieller Mittel an die Rechtsstaatlichkeit ist Unsinn, da diese nicht verhandelbar ist. Übrigens ist es auch kein Ost-West-Konflikt.
Die EU versinkt in einem Richtungsstreit, wo sich doch die globalen Kraftverhältnisse in Windeseile verändern.
Die Pandemie beschleunigt die Auflösung der bisherigen Ordnung, die aber schon vorher eindeutig war. Wir werden in einer anderen, einer neuen Welt erwachen. Die Wehrhaftigkeit der EU wird zur Schlüsselfrage werden. Die Stärke der Union liegt in ihren Werten und ist auch das Kriterium des Dazugehörens zur Union.
Erschienen in HVG (ungarische Wochenzeitung) am 09.04.2020. Übersetzt aus dem Ungarischen.
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