Interview Stuttgarter Zeitung, 24. Oktober 2017

Im Gespräch mit Bärbel Krauß ging es um das Verhältnis zwischen Russland und der EU.

Bärbel Krauß: Herr Röttgen, der Bundespräsident fährt zu einem Arbeitsbesuch bei Präsident Putin. Das geschieht in einer Situation, in der sich die bilateralen Beziehungen, das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen insgesamt kontinuierlich verschlechtern. Seit der Annexion der Krim 2014 kann man von einer Eiszeit sprechen. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um das Klima wieder zu verbessern?

Norbert Röttgen: Darauf gibt es nur eine klare Antwort: Die Bundesregierung, die EU und ihre westlichen Partner müssen in der Haltung gegenüber Präsident Putin Standhaftigkeit an den Tag legen. Weil Russland Völkerrecht verletzt hat und verletzt, dürfen wir bei den gemeinsam verhängten Sanktionen nicht wanken. Danach hat die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern bisher gehandelt. Dabei muss es bleiben.

Bärbel Krauß: Sie sehen es als alleinige Aufgabe Russlands an, die Voraussetzungen für einen Entspannungskurs zu schaffen?

Norbert Röttgen: Das ist so. Es wäre fatal, wenn der Westen sich zum Beispiel aufgrund von Wirtschaftsinteressen auseinanderdividieren ließe. Unsere Botschaft muss sein, dass Völkerrecht ohne Wenn und Aber einzuhalten ist. Wenn es gebrochen wird, wie von Russland auf der Krim und in der Ostukraine, dann hat das Konsequenzen – im Notfall nicht nur für eine kurze, sondern auch für eine längere Zeit. Kein Land darf damit durchkommen, Grenzen und die Souveränität von Nachbarstaaten zu missachten. Auf einer solchen Basis kann niemand normaler und vollwertiger Partner der demokratischen Staatengemeinschaft sein. Ohne Fortschritte im Rahmen des Minsker Prozesses ist eine Wiederannäherung an Russland deshalb nicht zu vertreten.

Bärbel Krauß: Das Festhalten an Sanktionen ist nicht unumstritten. FDP-Chef Christian Lindner und der Altbundeskanzler Gerhard Schröder, heute Rosneft-Aufsichtsratschef, sind Beispiele für prominente Kritiker. Lindner hat im Wahlkampf gefordert, Russland wieder in den Kreis der wichtigsten Industriestaaten aufzunehmen und den Konflikt um die Krim einzukapseln.

Norbert Röttgen: Was Christian Lindner da vorgeschlagen hat, wird sicher nicht die neue Linie der Bundesregierung werden. Solange die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind – und noch mal: das ist nicht der Fall –, ist ein solches Entgegenkommen ausgeschlossen.

Bärbel Krauß: Bei der SPD gab es immer Politiker, die Russland ohne ein Einlenken Moskaus stärker entgegenkommen wollten – Altkanzler Schröder ist da nur ein Beispiel. Nun wird über eine Jamaikakoalition verhandelt: Wird es mit den Grünen und der FDP schwieriger, sich auf eine gemeinsame Russlandpolitik zu einigen, als es mit der SPD war?

Norbert Röttgen: Nein, das glaube ich nicht. Es gab bei der SPD zwar abweichende Haltungen und ich habe oft genug gesagt, dass das Verhalten des Altkanzlers in meinen Augen das irritierendste Beispiel dafür ist. Aber im Regierungshandeln gab es Einigkeit zwischen Union und SPD. Dass die Russland-Frage zum Stolperstein für die Jamaikakoalition werden wird, erwarte ich aber nicht. Aus meiner Sicht liegt Lindner mit seinen Forderungen nach einer Lockerung der Sanktionen und die Rückkehr Russlands in den Kreis der G-7-Staaten falsch. Aber die FDP ist bei diesem Thema derzeit in einer Findungsphase. Da spielen auch andere Stimmen eine gewichtige Rolle, vor allem die von Alexander Graf Lambsdorff, der sich fest hinter den Sanktionskurs stellt und deutlich sagt, dass Russland aufhören muss, seine Nachbarn mit seinem Expansionsstreben einzuschüchtern. Ich bin sicher, dass wir da zusammenkommen.

Bärbel Krauß: Die Grünen werden sich auf der anderen Seite schwer tun, die Aufstockung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung zu erhöhen, wie es in der Nato vereinbart ist. Kann Jamaika daran scheitern?

Norbert Röttgen: Die Positionen zum Wehretat sind zwar sehr unterschiedlich, und es wird vielleicht nicht ganz einfach, da auf einen gemeinsamen Nenner mit den Grünen zu kommen. Aber scheitern wird Jamaika daran nicht. Den Sanktionskurs der Bundesregierung haben die Grünen schon bisher sehr breit mitgetragen. Der Umgang mit Putin wird kein Stolperstein für die Bildung einer Jamaikakoalition.

Bärbel Krauß: Laut „Spiegel“ sieht die Nato sich gegenüber Russland vor allem wegen logistischer Dezite nur bedingt verteidigungsbereit. Wie ernst nehmen Sie den Bericht, wonach sogar die zuletzt geschaffene schnelle Eingreiftruppe der Nato ihr Abschreckungs- und Verteidigungspotenzial nicht ausreichend entfalten kann?

Norbert Röttgen: Ich nehme diesen Bericht sehr ernst. Er spiegelt die Friedensdividende wider, die die Europäer nach dem Ende des Kalten Krieges in Anspruch genommen haben, und er macht deutlich, dass sich das Bündnis und damit vor allem die Europäer auf eine neue sicherheitspolitische Lage in Europa einstellen und dafür auch mehr Geld ausgeben müssen. Und dies nicht, weil ich eine militärische Auseinandersetzung befürchte, sondern wenn wir militärisch zu schwach sind, würden wir unsere außenpolitischen Einussmöglichkeiten erheblich beeinträchtigen.