Einen Investitionskrieg gegen China kann Europa weder wollen noch gewinnen. Die chinesische Regierung unter Präsident Xi Jinping ist bereit, enorme Summen abzuschreiben, um ihre vor fünf Jahren vorgestellte Seidenstraßen-Initiative für den Ausbau der Infrastruktur zwischen China und den benachbarten Regionen zu einem Erfolg zu machen. Das kann und will sich die europäische Politik, die eine Rechenschaftspflicht gegenüber ihren Bürgern und den Steuerzahlern hat, nicht leisten. Umso wichtiger ist es, andere Strategien zu entwickeln und durchzusetzen. Das ist aber fünf Jahre nach dem Start der chinesischen Belt-and-Road-initiative noch nicht gelungen.
Erklärtes Ziel der europäischen Kommission ist es, die Vernetzung der Europäischen Union mit Asien im Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationssektor voranzutreiben. Dass es bei dieser Konnektivitäts-Strategie nicht um finanzielle Konkurrenz mit China geht, wird schon daraus ersichtlich, dass die EU-Außenbeauftrage Federica Mogherini den finanziellen Rahmen für Investitionen bewusst offen lässt – dieser soll erst 2021 im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU festgelegt werden. Bis dahin passiert also erst einmal nichts!
Ab 2021 sollen bis zu 123 Milliarden Euro aus EU-Töpfen zur Verfügung gestellt werden sollen. Verglichen mit den 1,3 Billionen US-Dollar, die China in BRI investiert, ist dies ziemlich wenig und kommt leider auch viel zu spät. Damit versäumt es die EU, ihr eigenes starkes Potenzial sinnvoll einzusetzen.
Die Chance der Europäer besteht darin, dass sich immer mehr Staaten inzwischen von chinesischen Investitionen abwenden, weil sie mit hohen Schuldenrisiken und langfristige politischen Abhängigkeiten verbunden sind. Hier liegt das eigentliche Problem im Umgang mit China: Das Land praktiziert eine illiberale Wirtschaftspolitik, die es zunehmend nach außen exportiert. Durch staatliche Finanzspritzen können chinesische Investoren – bei denen es sich in den meisten Fällen um Staatsbetriebe handelt – jeden Preis unterbieten und verzerren dadurch den Wettbewerb. Damit können europäische Unternehmen nicht konkurrieren.
Das Ziel der EU muss daher sein, China in Bahnen zu lenken, in denen mehr fairer Wettbewerb möglich ist. Dazu bedarf es einer umfassenden europäischen China-Strategie, die sich nach innen und außen richtet. Nach innen muss die EU in ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit investieren, vor allem in den zukunftsweisenden Industrien. Gleichzeitig sollten wir aber auch damit beginnen, unsere europäische Wettbewerbspolitik nach außen auszuweiten und auf internationale Investoren anzuwenden. Wie kann es sein, dass ein italienisches Unternehmen, das von staatlicher Seite subventioniert wird, nicht in Frankreich investieren darf, ein chinesischer Staatsbetrieb aber schon? Bisher gelten diese Regeln nur für EU-Mitgliedstaaten. Das muss korrigiert werden.
Um sich auch international für fairen Wettbewerb einzusetzen, muss Europa darauf drängen, dass China endlich das Government Procurement Agreement (GPA) der Welthandelsorganisation (WTO) unterzeichnet. Dieses regelt den Zugang zu öffentlichen Aufträgen basierend auf Freihandel, Transparenz und Nicht-Diskriminierung. Aber damit ist es nicht getan. Angesichts der Marktverzerrung durch staatliche Subventionen, wie sie von China betrieben wird, gerät die WTO in ihrer jetzigen Form an ihre Grenzen.
Die WTO verlangt eigentlich von ihren Mitgliedstaaten, dass sie staatliche Subventionen, welche die heimische Wirtschaft bevorzugen, melden. Dies wird von China jedoch nicht praktiziert. Ohne die Fakten zu kennen, können Staaten, die durch chinesische Subventionen benachteiligt werden, auf diese nicht reagieren. Ziel der liberalen Marktwirtschaften muss es deshalb auch sein, kollektiv die Handlungsfähigkeit und damit Zukunft der WTO zu sichern – keine einfache Aufgabe, angesichts der vom Weißen Haus betriebenen Zollpolitik, die selbst nicht WTO-konform ist. Was wir international brauchen, ist eine Art Anti-Doping-Agentur für Staatsinvestitionen.
Der Zeitpunkt, um China zum Einlenken zu bewegen, ist günstig. Aufgrund des sich weiter zuspitzenden Handelsstreits mit den USA zeigt sich China derzeit relativ offen für Forderungen von europäischer Seite. Auch die anhaltende Kritik an der Belt-and-Road-Strategie macht China zu schaffen. Das meist als Seidenstraßen-Initiative bezeichnete Anstrengung ist Präsident Xi Jinpings wichtigstes Außenprojekt darstellt und darf unter keinen Umständen scheitern.
Kurzum, im Umgang mit China muss Europa ein Spagat gelingen: Selbstverständlich haben chinesische Unternehmen ein Recht darauf, neue Märkte zu erschließen. Dem können, dürfen und wollen wir uns nicht in den Weg stellen. Aber wir müssen klarstellen, dass dies im Rahmen von fairem Wettbewerb stattfinden muss.
Nur wenn die Belt-and Road-Initiative auf multilaterale Füße gestellt wird, weg von Chinas bilateralem Ansatz, bei dem beteiligte Staaten keinerlei Mitentscheidungsrecht haben, kann sich Europa auf darauf einlassen. Dann wäre die „neue Seidenstraße“ jedoch kein rein chinesisches Projekt mehr. Eigentlich unvorstellbar für China, aber langfristig wohl kaum zu vermeiden, wenn der Plan international ein Erfolg werden soll.
(Wirtschaftswoche, 19.10.2018)
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